SVP für die Ukraine - Tagebuch
Mit den folgenden Zeilen möchten wir euch an unseren Erlebnissen der letzten drei Tage teilhaben lassen, die alle von uns nicht mehr vergessen werden.
Sonntag, 6. März 2022
An diesem Sonntag war rein gar nichts normal oder so, wie man es von einem „normalen“ Sonntag kennt. Kein Ausspannen, kein Mittagsschläfchen oder entspanntes Kaffeetrinken am Nachmittag.
Was war passiert?
Einige unserer Vereinsmitglieder hatten bereits am Sonntagmorgen den Gedanken im Kopf: „Können wir, denen es hier so gut geht, nicht auch etwas bewegen oder etwas tun, um den Menschen in der Ukraine etwas Hilfe zukommen zu lassen?“
Zeitgleich wurde über die Organisation „Bündnis Ukraine-Hilfe Elbe-Elster“ ein Post über eine fünfköpfige Familie veröffentlicht, die von der Grenze geholt und schnellstens nach Deutschland gebracht werden muss.
Da war sie, unsere Chance! Schnell nahmen wir Kontakt auf und sicherten zu: „Ja, wir werden diese Familie holen!“. Nach einem kurzen Austausch unter den Vereinsmitgliedern und Freunden und einem erwartungsvollen Warten auf das „Go!“ kam die Absage: „Abbruch! Die Familie kommt mit einem Helfer, der bereits vor Ort ist, von dort weg.“. Unser erster Gedanke: „Das sollte es jetzt schon mit unserer Hilfe gewesen sein?“.
Nein!
Über den Verantwortlichen des „Bündnis Ukraine-Hilfe Elbe-Elster“, Steven Demmel, kam sofort die Nachfrage: „Würdet ihr trotzdem hinfahren, um dringend benötigte Hilfsgüter zu transportieren?“.
Ja, wir fahren!
Aber einfach nur ein Auto mit Hilfsgütern zu beladen und zur ukrainischen Grenze zu fahren, das wollten wir auch nicht.
Der SV Preußen Elsterwerda kann mehr! Wir haben viele Unterstützer im und außerhalb vom Verein!
Und so begann ein Unternehmen, das wir so noch nicht erlebt hatten.
Ungefähr acht Stunden Recherche am Rechner, unzählige Telefongespräche und WhatsApp-Nachrichten später war klar: Wir wollen drei Kleinbusse mit hilfsbereiten Frauen und Männern an die ukrainische Grenze schicken, um einerseits Hilfsgüter abzugeben und andererseits eine Mitfahrgelegenheit nach Deutschland anzubieten.
Ein Spendenaufruf über die Vereins-Kanäle konnte in den Abendstunden noch online gehen.
Montag, 7. März 2022
So, wie der Sonntag endete, fing der Montag an. Wer konnte sich kurzfristig freinehmen und uns somit als Fahrer oder Begleiter unterstützen? Alle neun Leute, die spontan ihre Hilfe zusagten, hielten Wort. Auch, weil deren Arbeitgeber und Chefs grünes Licht gaben. Also stand der Plan: nach der Sammelaktion für die Spenden sollte es gegen 19:00 Uhr in Richtung polnisch-ukrainische Grenze losgehen.
Doch Moment!
Womit sollten wir denn nun eigentlich fahren? Zwei Kleinbusse waren bereits am Vortag verfügbar, aber ein dritter Kleinbus fehlte noch. Also wieder stundenlanges Telefonieren und viele Anfragen, bis die erlösende Nachricht kam: die Stadt Elsterwerda wird uns ihren Bus zur Verfügung stellen.
Endlich waren alle Rahmenbedingungen erfüllt und wir konnten uns noch etwas sortieren und organisieren, bevor um 15:00 Uhr die offizielle Spendensammel-Aktion auf dem Sportplatz in Biehla losging.
Es war noch nicht mal 15:00 Uhr, als die ersten Menschen mit vollen Taschen, Kisten und Kartons auf dem Sportplatz ankamen und dafür sorgten, dass unsere Busse voll wurden. Mindestens zehn Helfer sortierten und stapelten die Spenden der Leute drei Stunden lang. In den Läden in und um Elsterwerda gab es danach kaum noch Windeln oder Milchbrötchen, da diese alle zu uns gebracht wurden.
Gegen 18:00 Uhr war der letzte Bus beladen.
Durch unkomplizierte Geldspenden war auch der Sprit für unsere drei Busse gesichert. Und um 19:00 Uhr ging sie los: unsere spontane, fast 1000km lange Reise zur polnisch-ukrainischen Grenze.
Dienstag, 8. März 2022
Wir fuhren Nachts - mit ein paar Pausen, um die Fahrerwechsel zu organisieren - durch die verschneite polnische Landschaft, bevor wir morgens um 8:00 Uhr unsere erste Anlaufstelle, ein umfunktioniertes Sportgelände, in Hrubieszow erreichten.
Hinter uns lagen also elf Stunden Fahrt.
Ernüchternd: nach sprachlich schwieriger Kommunikation mit einem Koordinator der Einrichtung war uns schnell klar, hier werden wir die vielen Spenden nicht los. Hier hatte man den Fokus hauptsächlich auf das Verteilen der ukrainischen Flüchtlinge ausgerichtet. Aber so weit waren wir noch nicht. Die Autos waren zu diesem Zeitpunkt noch voll bis auf den letzten Sitz mit Wasser, Windeln, Konserven und Babynahrung. Zunächst mussten wir also entladen, und zwar mit der Maßgabe, die uns anvertrauten Spenden auch verantwortlich zu übergeben.
Also ging es schnell wieder weiter. Wir fuhren erneut eine Stunde bis zu einem weiteren Anlaufpunkt in Dorohusk, direkt an der Grenze. Hier organisierte die „Caritas“ die Abgabe der Hilfsgüter. Wir erkannten bereits beim Eintreffen: hier sind wir richtig. Die Organisation „Caritas“ sortierte die Spenden professionell in vorbereiteten Pavillons.
Nach 30 Minuten waren unsere Busse entladen.
An dieser Stelle eine kurze Unterbrechung des Berichts für eine persönliche Kurzgeschichte:
„Die weiße Spielzeug-Ente“
Nachdem wir unsere Busse entladen hatten, besichtigten wir zunächst das Gelände der Hilfsorganisation und versuchten, einen heißen Kaffee zum Aufwärmen und gegen die Müdigkeit zu bekommen. Auf einer der entladenen Kisten lag ein Spielzeug, eine weiße Holz-Ente zum Schieben, die wir am Vortag bei unserer Sammelaktion übernommen hatten. Als ich vom Verpflegungsstand zum Auto gehen wollte, kam mir auf einmal ein kleines ukrainisches Mädchen entgegen, gerade mal drei oder vier Jahre alt. Die Kleine lief im Slalom um die vielen Kisten mit Spenden und musste unsere Spielzeugente entdeckt haben, denn plötzlich schob sie diese vergnügt vor sich her. Nach einer Runde durch das Kisten-Labyrinth lief sie damit zurück zu ihrer Mama. In diesen wenigen Augenblicken waren ihr weder Krieg, noch Leid oder Trauer anzusehen. Sie war einfach ein kleines Mädchen, das für fünf Minuten alles um sich herum vergessen und „Kind“ sein konnte. Das hat mich tief berührt und gezeigt, dass selbst so ein banales Spielzeug, wie eine Holz-Ente helfen kann, einem Kind ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Vielleicht hat sie die Ente ja mit auf ihre weitere Reise ins Ungewisse genommen?
Nun aber weiter mit der Schilderung unseres Reiseberichtes.
Wir waren also entschlossen, Menschen oder Familien zu finden, die mit uns weiter nach Deutschland wollten und hatten Glück: eine siebenköpfige Familie (drei Kinder, drei Frauen und ein Opa, liebevoll von seinen Enkeln „Deduschka“ gerufen) entschlossen sich, mit uns zu reisen. Sie kamen aus dem hart umkämpften Mariupol und waren bereits zwei Wochen unterwegs, hatten die komplette Ukraine also einmal durchquert.
Die Reise sollte zunächst bis Dresden gehen, um von dort aus per Bahn weiter nach Düsseldorf zu fahren, wo glücklicherweise schon Verwandte auf sie warteten.
Nachdem der Papierkram mit der Caritas und der Polizei erledigt war, konnte unsere Rückreise beginnen.
Doch hatten wir noch ein paar Plätze frei. So fuhren wir noch über Cholm, wo sich die Hauptaufnahmestelle der Region befand.
Machen wir es kurz: über eine Stunde Warten, Fragen, Hilflos-Gucken führten leider nicht zum Ziel, die restlichen acht Sitzplätze noch zu belegen. Zu viel Chaos, keine Dolmetscher und überforderte Helfer - wir mussten unsere Hoffnungen begraben, noch weiteren Menschen eine Weiterreise zu ermöglichen. Also traten wir am Dienstagmittag die Rückreise mit „unserer“ netten und dankbaren ukrainischen Familie an.
Während der elfstündigen Rückreise hatten wir alle Hände voll zu tun, für die Familie die dringend benötigten Schlafplätze und das „Help-Ukraine-Ticket“ der Deutschen Bahn zu besorgen.
Leider blieb in diesem Moment die ursprünglich zugesicherte Hilfe von offizieller Stelle aus und wir entschieden uns, weitere Maßnahmen selbst zu organisieren.
So fand sich ein Hotel in Dresden, welches die gesamte Familie kostenlos aufnahm.
Ein weiterer Helfer konnte vor Ort in Dresden zudem bereits die Tickets besorgen, mit denen die Familie am nächsten Tag weiter nach Düsseldorf fahren sollte.
Glücklich und zufrieden konnten wir am Dienstagabend um 22:30 Uhr „unsere“ ukrainische Familie vor dem Hotel in Dresden verabschieden, nicht ohne gemeinsam noch etwas zu essen, unsere Telefonnummern auszutauschen und ein Abschiedsfoto zu machen.
Und dann fielen der ganze Stress und Druck von uns ab. Super glücklich, erleichtert und hundemüde traten wir nun die letzte Etappe der Heimreise nach Elsterwerda an.
Somit endete unsere fast 2000km lange und 29 Stunden andauernde Reise kurz vor Mitternacht wieder auf dem Sportplatz in Biehla.
Ein Dank geht an alle Menschen, die uns unterstützt haben, in welcher Form auch immer: ob es die so dringend benötigten Sachspenden, das Spritgeld, der Durchhalte-Kaffee von der Tankstelle oder die ein oder andere glückliche Fügung waren.
Das haben wir alle zusammen geschafft!